Benjamin Jurgasz

Am Tage lehrt der Sprachlehrer

 

Sprachlehrer und Sprachlerner agieren am Tag – in einem wörtlichen, aber auch in einem tieferen, übertragenen Sinne. Bei Tageslicht arbeiten unsere grauen Zellen am effektivsten. Aber auch unsere allgemeine Vorstellung vom Menschen und seinen Fähigkeiten wirkt wie in eine strahlende Mittagssonne getaucht. Wir erleben die Wirklichkeit durch einen Enthusiasmus des Lehrens und Lernens hindurch. Solange der Tag währt, glaube ich für meinen Teil fest an die Möglichkeiten des Menschen, intellektuell zu wachsen. Als Sprachlerner arbeite ich fieberhaft an meiner Kompetenz und als Sprachlehrer wittere ich allenthalben Potential. In meiner Arbeit zähle ich darauf, dass meine Schülerinnen und Schüler eine gewisse Wissbegier, Lernbereitschaft und Offenheit für neue Informationen mitbringen. Ich setze auf einigermaßen (so hoffe ich zumindest) vernünftige und einleuchtende Erklärungen deutscher Grammatik.

 

Sprachenunterricht setzt eine spezifische Zuversicht voraus. Man hofft, dass der Mensch eine komplexe Fähigkeit irgendwann beherrschen wird, wenn wir nur heute im Unterricht diese Komplexität adäquat in seine Einzelteile zerlegen. Wir üben die Aussprache, die Deklination von Substantiven, die Konjugation von Verben, die Satzstellung und viele andere „minimale Fähigkeiten“ – zunächst einmal alle separat, eine nach dem anderen. Sodann ermutigen wir den Schüler, diese Kleinstoperationen auf immer komplexere Weise miteinander zu kombinieren. Wir bauen, könnte man sagen, ein Haus, Stein für Stein. Das Haus der Sprache.

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Diese Herangehensweise ist keinesfalls alternativlos. Man denke zum Beispiel an den ganz anderen Ansatz, jemanden einfach „ins kalte Wasser zu werfen“. Oder auch einfach an die eher resignierte Haltung, nach der man „doch sowieso bald alles wieder vergisst, wozu sich also überhaupt anstrengen“. Nein – im Unterricht, so wie ich ihn verstehe, glauben wir fest an zweierlei: systematisch gesteigerte Herausforderungen und stetigen Fortschritt. Um umgebrochen an diesen Prinzipien festhalten zu können, ist eine beachtliche Menge an Optimismus vonnöten. Wir brauchen ein gehöriges Vertrauen auf die Kraft des menschlichen Willens. Wir verschreiben uns, wie es neuerdings in der Psychologie so schön heißt, der „Neuroplastizität“.

 

Solange der Tag währt und die müde Obsessivität der Nacht noch im Schach gehalten werden kann, machen wir Sprachlehrer und Sprachlehrer uns Gedanken darüber, wie wir den Lernprozess optimieren können. Schlüsselhaft beim Sprachelernen ist bekanntermaßen das langfristige Einprägen von neuen Wörtern und Strukturen der Sprache. Dazu greifen wir auf sogenannte Mnemotechniken zurück. Beispielsweise lerne ich als Schüler der polnischen Sprache seit vielen Jahren meine Vokabelkarten anhand des Spaced-Repetition-Systems. Dabei wird systematisch der Zeitraum, nach dessen Ablauf ich eine gegebene Vokabel wiederhole, ausgeweitet.

 

Ein anderes großes Thema sind natürlich auch die berüchtigten Ziele. Ich biete meinen Schülerinnen und Schülern an, zu definieren, wo unsere Zusammenarbeit hinführen soll. Das muss nicht immer nach einem strengen SMART-Schema erfolgen, mit Zwischenzielen, Deadlines etc. Ebenso zielgerichtet ist ein einfacher Semesterkurs, in dem wir ein Kursbuch, etwa auf Stufe „B 1.1“, bis zum Ende durcharbeiten.

 

Der Punkt ist: Am Tag, also solange das Frontalhirn noch tüchtig zu arbeiten vermag, führt man ständig Dinge wie „Optimierung“, „Methode“ und „Ziele“ im Munde. Als Sprachlehrer sind mir die derzeitige Populärpsychologie und der Coaching-Hype mit dem allgemeinen Aufruf zum „Zielesetzen“ nicht fremd – ich bin gewissermaßen „einer von ihnen“.

 

Auch wenn meine Perspektive zum Sprachelernen in diesem Artikel ein kleines bisschen ironisch wirkt, möchte ich ganz unironisch betonen: Das, was ich hier als die Perspektive des Lehrens und Lernens beschreibe, ist keineswegs oberflächlich oder naiv oder „nur ein Trend“. Der Psychologe in mir sieht mit seinen die Nacht durchdringenden Katzenaugen keineswegs verächtlich auf den Lehrer hinab, sondern er betrachtet ihn als Partner in einer durchaus fruchtbaren Zusammenarbeit. Wenn wir beim Sprachelernen auf Methoden zurückgreifen, die getestet und für gut befunden wurden, wenn wir Ziele definieren etc. – ja dann winkt die Freude am Fortschrittemachen. Es stellt sicht eine kindliche Verzücktheit ein, wenn wir bemerken, wie unsere Sprachfähigkeiten sich entwickeln. Freude am Wachsen ist ein wichtiger Aspekt unseres Lebens. Dessen bin ich mir als Psychologe absolut bewusst. Damit und dafür arbeite ich, unter anderem.

 

Das Sprachelernen bringt zudem noch eine weitere wohltuende Qualität in unser Leben ein: Stabilität. Die Sprachlernroutine kann eines der Dinge sein, die unserem Leben Struktur verleihen. Wir verfolgen ein interessantes langfristiges Unterfangen, das Früchte hervorbringt, die wir in unterschiedlichen Lebensbereichen werden genießen können: auf Auslandsreisen, in Freundschaften und Partnerschaften und natürlich im Beruf. Wenn wir eine Fremdsprache lernen, dann bündeln wir unsere Gedanken – Gedanken, die wir andernfalls womöglich ins Sorgenmachen investieren würden – auf einem fröhlichen Projekt.

 

 

Der Psychologe, umgeben von Nacht und Obsession

 

Der Abend und die Nacht sind bekanntermaßen das Reich der Obsessionen – oder, wie wir auch sagen, der Süchte. Wir rauchen und trinken abends oft mehr, wir gehen unnötigerweise vor dem Schlafengehen noch einmal zum Kühlschrank und tun andere Dinge, auf die wir wenig stolz sind. Süchte sind obsessiv insofern, dass wir sie nur schwer abschütteln können, auch wenn wir es gerne wollten. Wir lassen uns den ganzen Tag lang in den sozialen Medien mit Formeln der „Selbstpflege“ bombardieren und vielleicht sagt uns sogar unser Arzt ein ernstes Wörtchen – am Abend sieht es dann aber wieder so aus, als ob wir gar nichts aus all dem gelernt hätten. In der nächtlichen Besesssenheit verschließen wir uns gegenüber gutgemeinten Ratschlägen. All die Gelöbnisse zur Besserung, die im Laufe des Tages verlautbart wurden, scheinen plötzlich ganz weit weg. Unser Geist nimmt eine gewisse Luftdichte an. Wir beginnen, innerlich im eigenen Saft zu schmoren.

 

Beim Anblick einer Seele in der dunklen Nacht geht der Sprachlehrer in den Feierabend – für ihn gibt es hier heute nichts mehr zu holen. Der Psychologe hingegen verengt seine Katzenaugen, denn sein Interesse wurde geweckt. Der Sprachunterricht geht am nächsten Tag weiter, aber was die „Kunde von der Seele“ angeht (wie man „Psychologie“ auf Deutsch sagen würde), so liefert der Abend mit seiner Besessenheit natürlich erstklassiges Material zur Reflexion.

 

Um zu verdeutlichen, wie unverbesserlich und störrisch wir werden, wenn der Tag zu Neige geht, muss man nicht einmal spektakuläre Abhängigkeiten anführen. Es reicht, wenn wir uns an ein typisches Einschlafproblem entsinnen, das jeder von uns irgendwann schon einmal kennengelernt hat. Wir alle kennen die Situation, in der wir abends im Bett nicht einschlafen können, weil sich die Gedankenmühle eingeschaltet hat. Der Kopf brütet wie besessen (oder eben obsessiv) vor sich hin, wir spielen gedanklich die immer gleichen Sorgen durch. In solchen Momenten sind wir alles andere als in „Lernbereitschaft“. Wenn sich jemand, zum Beispiel der legendäre unsensible Ehemann, zu uns an Bett setzen und unsere Sorgen einer brillanten „rationalen Analyse“ unterziehen würde – würde das die Stimmen in unserem Kopf zum Schweigen bringen? Wohl kaum.

 

Der Psychologe, anders als der unsensible Ehemann an der Bettkante, wird sich nicht den Kopf zermartern, weshalb wir so „irrational“ denken. Er wird (hoffentlich) nicht sagen: „Hör auf, Probleme zu erfinden, wo es keine gibt.“ Er wird uns nicht irgendeine objektive Wahrheit mit dem Holzhammer eintrimmen. Archetypisch gesehen steht der Psychologe dagegen für Gespräche, die ausgesprochen ungeradlinig sind und nicht so zwanghaft zu einem Ergebnis hinlenken wie viele Konversationen, die wir am Tage führen. Das Ergebnis eines psychologischen Gesprächs liegt vielmehr einigermaßen im Dunkeln. Besonders wenn der Psychologe psychoanalytische und jungische Vorlieben hat, wird er dem Patienten klarmachen: Indem wir heute das Gespräch über Deine Psyche aufnehmen, fangen wir an, uns gemeinsam in eine nebelverhangene Nacht vorzupirschen – nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.

 

 

Die dunkle Nacht der Lernplateaus

 

Am Tage sind der Lehrer und der Lerner eifrig mit dem Lehren und Lernen zugange. Aber sobald der Schleier der Nacht fällt, können die beiden von quälenden Zweifeln heimgesucht werden. Jeder langjährige Sprachenlerner kennt sogenannte Plateau-Erfahrungen: Eine Zeitlang scheint man trotz aller Bemühungen keinen realen Fortschritt zu machen in der Sprache. Man sagt sich dann voller Reue: „Ich spreche immer noch genauso wenig fließend wie vor einem Jahr.“

 

Es gibt diesen sehr schönen, wenn auch etwas deprimierenden Vers aus „Wish you were here“ von Pink Floyd: „We're just two lost souls swimming in a fishbowl, year after year.“ In seinen dunkelsten Stunden kann der langjährige Sprachenlerner sich durchaus vorkommen wie eine verlorene Seele in einem Fischglas. Ob wir objektiv gesehen tatsächlich keinen Fortschritt machen oder vielleicht doch die Situation gar nicht so festgefahren ist, wie wir denken – das ist natürlich eine ganze andere Frage. Fest steht jedoch, dass Abend und Nacht (und Januarnachmittage) die natürliche Umgebung sind für den subjektiven Eindruck, dass wir stagnieren.

 

Entscheidend ist: Der subjektive Eindruck, dass es mit dem Sprachelernen in letzter Zeit nicht voran geht, ist aus der Palette unserer Erfahrungen genauso wenig wegzudenken wie der Zyklus von Tag und Nacht. Er ist Teil des Prozesses. Der Sprachlernprozess, besonders wenn er Jahre währt – und umso mehr noch, wenn wir nach einer längeren Pause wieder zum Sprachelernen zurückkehren – setzt sich zusammen aus schnellen Vorstößen und quälenden Plateau-Gefühlen. Manchmal sind wir tatsächlich wie der Fisch von Pink Floyd, der in seinem etwas zu kleinen Fischglas immer wieder dieselben Bahnen zieht (und sich scheinbar immer wieder dieselben grammatischen Strukturen einzuprägen versucht), unfähig zu lernen.

 

Der Psychologe hält sich aus meiner Sicht mit Vorlieben im Element der Besessenheit auf – in einer Haltung der Neugier, Empathie und Hilfsbereitschaft. Lernplateaus im weitesten Sinne dieses Worte sind seine Spezialität. Am Tage huldige ich als Lehrer gemeinsam mit meinen Schülern unserer Fähigkeit, zu lernen. Aber nachdem wir uns eine Zeitlang an den beachtlichen kognitiven Fähigkeiten des Menschen ergötzt haben, kommt stets verlässlich der Punkt, an dem Nacht und die Unfähigkeit oder Unwilligkeit zu lernen das Ruder übernehmen, das ist für mich ganz klar. Man könnte auch sagen: Die gelegentliche Obsession ist der Preis für die Aufnahmebereitschaft, mit der wir zu anderen Gelegenheiten glänzen.

 

 

Dreht sich unser Leben wirklich ums Lernen?

 

Wenn ich sage, dass ich als Psychologe eine gewisse Distanz einnehme zum Mythos des Lehrens und Lernens, dem wir am Tage fröhnen, dann spreche ich durchaus nicht für die Mehrheit der gegenwärtigen Psychologen. Es ist kein Zufall, dass in der derzeit so populären kognitiven Verhaltenstherapie „Hausaufgaben“ ein Bestandteil der Methode sind, ganz wie in der Schule. Die momentan angesagtesten Therapieformen sind fest in der modernen Lernpsychologie verwurzelt. Bei der Behandlung von Depression beispielsweise zielt man aktuell oft darauf ab, das Denken neu zu erlernen. Der depressive Mensch hat – so formuliert man es – Denkgewohnheiten, die wirklichkeitsverzerrend, allzu schwarz-weiß, allzu selbstkritisch, allzu pessimistisch etc. sind, und die durch neue, besser angepasste Schemata ersetzt werden sollten. Diese Herangehensweise an die Psychotherapie weist auffällige Parallelen zum Sprachenunterricht auf, wie ich ihn oben skizziert habe. In beiden herrscht eine allgemeine Stimmung der Korrektur. Wir haben es hier mit einem breit aufgestellten Paradigma des verschulten Lernens zu tun.

 

Sicherlich sind wir lernfähig, das will ich keineswegs in Abrede stellen. Wir können beispielsweise lernen, wie wir besser unsere Emotionen regulieren. Wir können uns in dunklen Momenten daran erinnern, dass es „vielleicht nur wieder ich bin, der hier so schwarz malt“ und es objektiv gesehen gar nicht so düster aussehen muss – wir können immer besser werden in dieser Art von reality check. Auch ich stelle mir gerne in kleinen oder großen persönlichen Krise die Frage: „Das ist alles durchaus sehr schmerzhaft – aber gibt es nicht auch etwas, was ich aus dieser Situation lernen kann?“ Die Neudefinierung einer Krise als Chance zum Lernen lindert oft den Schmerz und verschafft darüber hinaus auch interessante Einblicke. Andererseits kann die Frage, „was daraus zu lernen ist“, auch manchmal allzu obligatorisch werden. Was wäre, so fragt der etwas abtrünnigere psychologische Denker in mir, wenn es gar nicht ständig darum ginge, auf Teufel komm' raus irgendetwas zu lernen?

 

Vielleicht ist es nur meinem Fall so, dass im Laufe der Jahre das „Lernen“ ein so zentrales Motiv im Leben geworden ist – im Falle eines langjährigen Sprachenlerners und Sprachlehrers also, der als Kind und Jugendlicher einigermaßen gerne zur Schule und als junger Erwachsener zur Universität gegangen ist. Vielleicht ist meine gelegentliche hochgezogene Augenbraue gegenüber dem „Lernen“ vor allem meine Privatangelegenheit. Womöglich zeichnet sich hier eine persönliche Entwicklungslinie ab: etwas mehr weg vom krampfhaften Lernenwollen und Lehrenwollen, und etwas mehr hin zu einer gesunden Skepsis und einer Gelassenheit. Lasse ich allmählich ab von einer „Lernsucht“?

 

Vielleicht bin ich hier aber auch durchaus einem allgemeinen Trend in unser Kultur auf der Spur. Womöglich sind wir in letzter Zeit tatsächlich ein wenig zu sehr erpicht darauf, zu lernen. Man denke nur mal daran, wie wir als Gesellschaft unsere Kinder dazu verdonnern – im Rahmen unseres Schulsystems und allgemeiner: des individualistisch-kapitalistischen Wettkampfes –, den ganzen Tag die Schulbank zu drücken. Vielleicht sind wir zu einfallslos darin geworden, unser Leben als sinnhaft zu sehen, auch wenn gerade nichts Offensichtliches gelernt wird.

 

Nichts Offensichtliches … das ist eben der springende Punkt. Ein Ausweg aus dem vermeintlichen Lernengpass kann es sein, einfach den eigenen Begriff von dem, was lernenswert ist, ständig zu erweitern. Der Zwang, ständig lernen zu müssen, ist nur solange bedrückend, wie die Liste der „Lernfächer“ allzu begrenzt ist. Was könnte man dem Curriculum hinzufügen? Nun, ich kann zum Beispiel lernen, das Gefühl auszuhalten, dass ich gegenwärtig nichts lerne. Ich kann lernen, meine hohen Erwartungen an die Wirklichkeit anzupassen. Ich kann besser darin werden, Langeweile auszuhalten – diesen kleinen Schmerz, der daher kommt, dass ich einen Moment lang unterstimuliert bleibe. Ich kann lernen, mich in Geduld zu üben – mich damit zu begnügen, dass meine Fortschritte momentan eher unspektakulär sind. Wer hätte gedacht, dass dieser Artikel mit einem Hoch auf die Langeweile endet?

 

Lernen und Obsession

 

Moores Ausspruch – „Daytime learning, nighttime obsession“ – hat mich neugierig gemacht wegen der Gegensätze, die er nahelegt: Tag und Nacht, nun ok. Aber ist das Gegenteil von Lernen tatsächlich „Obsession“?

 

Im Bereich der Emotionalität sprechen wir heutzutage oft davon, wie wichtig Empathie ist. Wir verstehen Empathie als einen Zustand, in dem wir mit den Gefühlen eines anderen Menschen resonieren. Wir sind in der Lage, die emotionalen Schwingungen unseres Gegenübers zu spüren. Lernen funktioniert auf eine ganz ähnliche Weise: Wir „empathisieren“ gewissermaßen mit den Informationen. Wenn wir lernen, sagt das über uns aus, dass wir offen sind für das, was die Umwelt uns mitzuteilen hat. Wir befinden uns in Lernbereitschaft. Gewissermaßen fahren wir unsere Widerstände runter, unsere Außenhaut wird durchlässig – und Informationen von außen haben die Möglichkeit, in uns einzusickern. Obsessivität bedeutet dagegen Bessessenheit. Wir wurden von etwas komplett in Besitz genommen, von einer Idee, einem Gedankengang oder unserem allabendlichen Sichsorgenmachen. Da ist kein Platz in uns zur Kenntnisnahme neuer, von außen an uns herandringender Informationen – der gesamte Platz ist besetzt.

 

Der Schweizer Biologe Jean Piaget stellte einmal Akkommodation und Assimilierung gegenüber. Akkommodation bedeutet, dass wir dermaßen offen für den Lerngegenstand sind, dass wir uns ein Stückweit von ihm leiten lassen und unser Verhalten entsprechend modifizieren. Assimilierung dagegen meint, dass wir potentiell neue Informationen einfach wieder unseren alten Ideen unterordnen – den Überzeugungen, die wir sowieso schon lange hegen. In der Akkommodation lassen wir die neuen Eindrücke „etwas mit uns machen“. Assimilerung hingegen bezeichnet einen Zustand, in dem wir das Neue nicht als Neues gelten lassen – wir winken ab und sagen: „Ach, das ist doch schon wieder alles dasselbe.“ Wir kennen solches Assimilieren stereotypisch von störrischen alten Menschen (aber im Grunde genommen auch von jungen störrischen).

 

Wenn wir von Piagets Begriff der Assimilierung und der menschlichen Sturheit sprechen, dann bewegen wir uns eigentlich auch schon schnurstracks auf die „nächtliche Obsession“ zu. Tatsächlich scheint die Akkommodation oder Lernbereitschaft eher dem Tag anzugehören – die Assimilerung und Sturheit aber dem Abend. Solange die Sonne scheint, spielt sich das Sozialleben ab und wir erhalten eine zumindest grundlegende Anpassungsbereitschaft aufrecht – sei es aus authentischer Freude an der eigenen Rezeptivität oder darum, weil das Leben in der Gesellschaft es uns abverlangt. In der Arbeit haben wir ein offenes Ohr für die Probleme unserer Kollegen, auch wenn wir eigentlich etwas anderes zu tun hätten. Wir sind überhaupt für alles und jeden ansprechbar. Auf den Tag folgt aber immer auch die Nacht. Unsere Rezeptivitätsbatterien, wenn man so will, sind nun nach der Anstrengung des Tages leer. Wir haben keine Geduld mehr, zuzuhören. Wir haben nicht mehr die nötige Geistesfrische, um unser Buch zu lesen und dabei auch wirklich zu verstehen, was wir lesen. Wir nicken also nach einigen Zeilen ein … zzzzzz …

W karierze każdego ucznia językowego dochodzi do idealnych momentów dla zmiany metody.
01 lipca 2024

Lernen am Tag, Obsession in der Nacht – zwischen Sprachenlernen und Psychologie

„Daytime learning, nighttime obsession.“ So lautet ein einigermaßen mysteriöser Ausspruch aus einem Buch von Thomas Moore. Als ich vor einer Weile auf diesen Satz stieß, hatte ich das vage Gefühl, dass er viel aussagt über meine zwei Berufe – den des Sprachlehrers und den des Psychologen. Einerseits bilden die Kenntnisse aus den beiden Bereichen eine gewisse Synergie. Mein Sprachenunterricht profitiert von meiner Ausbildung als Psychologe. Und umgekehrt weiten meine Erfahrungen mit der Sprache meine Möglichkeiten als Psychologe aus. Allerdings stehen die zwei Berufe – oder „Bewusstseine“ – auch in einem interessanten Spannnungsfeld zueinander. Sie bilden in in mancherlei Hinsicht eine pikanten Kontrast. Als Deutschlehrer stelle ich mich ins gleißende Tageslicht, mit Worten auf den Lippen wie „Zielsetzung“, „Systematizität“, „Methode“ und ganz zentral natürlich: „lernen“. Als Psychologe nehme ich eine gesunde Distanz zu solchen optimistischen Konzepten ein.

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